26.05.2020 07:47 | Vor 20 Jahren stieg der FC Energie erstmals in die Bundesliga auf

Unsere Helden aus der Saison 1999/2000

Es gibt Tage im Fußball, die vergisst man nie. Besonders einprägsam sind jene, an denen der eigene Verein Fußballgeschichte schreibt. So geschehen am 26. Mai 2000 - genau heute, vor 20 Jahren. Energie Cottbus und das Wunder vom Aufstieg in die Bundesliga.

Es ist kein gewöhnlicher Freitag in Cottbus. Emsiges Treiben herrscht in der Stadt. Doch ist es nicht nur der typische Feierabendverkehr, der diese Stadt bewegt. Menschen in den immer gleichen Farben laufen über den Altmarkt, durch die Sprem und durch die Sandower Parks. Jeder, der eine Karte bekommen hat, begibt sich euphorisch, aber auch mit einer gewissen, dem Lausitzer eigenen Skepsis, Richtung Stadion der Freundschaft. Es sind unübersichtliche Ströme und Massen, die von überall her eintreffen. Es wird so voll wie lange nicht mehr. Erinnerungen an den sensationellen Aufstieg 1997 werden geweckt. Und doch ist das alles nochmal um einiges größer. Das spürt hier jeder. Und jeder ist sich dessen bewusst, was heute hier möglich ist. Der größte sportliche Erfolg der Vereinsgeschichte, den bis dato nie ein Cottbuser hätte zu träumen gewagt, scheint so unglaublich nah. Das Stadion unter Eichen füllt sich und platzt schier aus allen Nähten. Kurz vor 19 Uhr liegt die Spannung im Unermesslichen. Wird dies die Krönung einer herausragenden Saison?

Der Tabellenführer 1. FC Köln, der bereits den Aufstieg in die Bundesliga gesichert hat, ist zu Gast im Stadion. Ausgerechnet die stärkste Mannschaft der Liga muss es sein, die dem FC Energie noch in die Suppe spucken könnte. Der Spielplan hat sich ohnehin für die größtmögliche Spannung entschieden. Denn parallel spielt mit Nürnberg gegen Gladbach der Fünfte gegen den Vierten. Alle haben noch Chancen auf Platz 3, diesen allerletzten Aufstiegsplatz. Nur ein Sieg bringt den FCE ganz sicher in die Bundesliga. Und Cottbus ist gewarnt - im Hinspiel gabs in Köln gegen Lottner, Scherz, Hasenhüttel und Co eine deftige 1:4-Niederlage. Die Hoffnungen liegen in der eigenen Heimstärke. Und sowieso im übergroßen Selbstvertrauen, das jeden Spieler an diesem Tag zu Höchstleistungen anspornen sollte. Außerdem schwingt die Hoffnung mit, dass die als feierndes Völkchen bekannten Kölner im Aufstiegsrausch ein paar Prozente ihrer unbedingten Siegermentalität verloren haben. Bei vielen FC-Spielern ist dies wahrscheinlich auch wirklich so - nur einem gewissen Georgi Donkov hat davon niemand erzählt.

Der Anpfiff und ein ohrenbetäubendes Publikumsgebrüll läuten das Entscheidungsspiel an diesem sonnigen Freitagabend ein. Die Mannschaft von Eduard Geyer wirkt hochkonzentriert. Die Spieler scheinen mental und auf den Gegner perfekt eingestellt. Trotz des kurzfristigen Ausfalls von Kapitän Steffen Heidrich spielt Energie gewohnt passsicher und erspielt sich über die Kreativabteilung um Vasile Miriuta, Moussa Latoundji, aber auch Libero und Energie-Legende Detlef Irrgang eine Chance nach der anderen. Bei den Abschlüssen von Labak, Latoundji und Miriuta haben viele im Rund schon den Torschrei auf den Lippen - doch der gut aufgelegte Schlussmann Markus Pröll verhindert die Führung der Cottbuser ein ums andere Mal. Zwar wirken die Kölner an diesem Tag nicht besonders spritzig, und lassen vielleicht auch den allerletzten Willen vermissen - dass sie vor allem technisch einiges abrufen können, zeigt sich aber in einigen sehenswerten Angriffen, die vor allem der emsige und auffälligste Kölner Georgi Donkov immer wieder mit initiiert. So arbeitet sich auch der FC ins Spiel und versucht den Cottbusern Herr zu werden.

Die Spannung steigt von Minute zu Minute. Doch bis kurz vor der Pause konnte Energie keinen Profit aus dem Chancen-plus schlagen. In der 43. Minute reicht es dann auch Libero Irrgang und er schaltet sich bei eigenem Freistoß an der Mittellinie mit in die Offensive ein. Miriuta bemerkt den Laufweg des "Langen" und bedient diesen nach schneller Ausführung mustergültig mit einem Sahnepass. Allein vor Pröll stehend schiebt Irrgang den Ball in gewohnt abgezockter Manier zum 1:0 für Energie ins Tor. Sein allererstes Saisontor. Der Wahnsinn! Das Stadion bebt, 22.000 Menschen fallen übereinander her. Keinen hält es nun mehr auf den Sitzen, der unfassbaren Anspannung folgen die ersten Tränen der Freude. Das Wunder ist so greifbar nah. Und doch ist beim Pausenpfiff klar, dass das noch einmal die härtesten 45 Minuten der Saison werden würden. Unter dem frenetischen Jubel der Energiefans verschwinden die Spieler nach dem Halbzeitpfiff in den Katakomben. Der Blick nach Nürnberg offenbart: keine Tore im Parallelspiel. Aber das spielt sowieso keine Rolle mehr, solange Energie weiter konzentriert auf den eigenen Sieg geht.

Und das tun sie auch nach Wiederanpfiff. Den Schlendrian kann es unter Trainer Geyer sowieso nicht geben. So peitscht er auch im zweiten Abschnitt seine Mannen nach vorne. Schon in der 49. Minute erobern die Cottbuser den Ball in der Kölner Hälfte, Labak schlägt den Ball hoch in den Gästestrafraum, wo Miriuta ihn mit der Brust annimmt, abtropfen lässt und volley in den Maschen versenkt. Der Ausbruch der Freude im Stadion der Freundschaft ist ohrenbetäubend, Menschen die sich vorher unbekannt waren, liegen sich in den Armen, Bierbecher fliegen durch die Luft, die Stimme und der Torschrei von Ronny Gersch ist kaum noch wahrnehmbar. Die Fans im Stadion, die an den Radios und in den Kneipen, eine ganze Region wird sich immer klarer darüber, dass hier gerade Geschichte passiert. Die nächsten Minuten laufen wie in Trance ab, das Spielgeschehen verschwimmt mit der Glückseligkeit der Menschen. Dann der nächste Aufschrei: Nürnberg führt gegen den ärgsten Verfolger Gladbach. Nun jubelt auch der Gästeanhang hörbar, der den Gladbachern ohnehin nicht gut gesonnen ist und die Rivalität mit dem Spruchband "Lieber Cottbus als Gladbach" zum Ausdruck bringt.

Die letzten Minuten des Spiels gehen dann in tosenden Feierorgien unter. Nachdem Dr. Helmut Fleischer um 20:47 fast pünktlich abpfeift, ist es vollbracht. Die Stadt hat ihr nächstes Wunder erlebt. Die Spieler versinken in Siegerposen auf dem Rasen, können ihre Leistung noch gar nicht richtig realisieren. Die ersten Fans klettern über die Zäune, rennen zu ihren Helden und machen aus einem grünen Rasen schnell einen rot-weißen. "Erste Liga, Cottbus ist dabei!" hallt es aus allen Kehlen, die Verantwortlichen auf der Trainerbank liegen sich in den Armen, alle genießen die abfallende Anspannung, die sich in unbändiger Freude entlädt.

Dieser Tag zählt zu den größten Erfolgen der Vereinsgeschichte und war der Beginn einer wahnsinnigen Odyssee durch die Bundesligastadien der Republik. Energie war nun auch beim letzten Fußballfan auf der Landkarte aufgetaucht und deutschlandweit in aller Munde. Das "gallische Dorf" wurde zum Inbegriff der eigenen Stärke, die folgenden Jahre in der ersten Liga zum Beweis dafür, dass nicht nur Geld Tore schießt, sondern auch harte Arbeit und viel Leidenschaft Erfolge möglich macht. Der berühmte Ausspruch von Eduard Geyer "Die Bundesliga wollte mich nicht, also musste ich in die Bundesliga kommen" steht sinnbildlich für das eigene Statement, welches der Underdog-Club der Liga mit auf den Weg gab: die Großen zu ärgern, sich mit den Besten zu messen, Mannschaften wie Bayern, Dortmund oder Schalke ins Stadion der Freundschaft zu zwingen und ihnen den größtmöglichen Kampf anzubieten - das alles brachte dieser Aufstieg mit sich. Ganz zu schweigen von der emotionalen Bindung der Fans zu ihrem Verein. Mit Stolz trug man die eigenen Schals, Fahnen und Farben nun durchs ganze Land. Neue Freunde und Wegbegleiter schlossen sich dem Club an - und viele blieben bis heute dabei. Die Bundesliga hat die Menschen, die Stadt und die gesamte Region zum Positiven verändert, ihnen Halt gegeben, neues Selbstbewusstsein verschafft. Und all das nur, weil ein Club mit ehrlicher Arbeit und sportlichen Höchstleistungen einst über sich hinauswuchs. Damals, vor 20 Jahren - am 26. Mai 2000.

Text: www.fcenergie-museum.de